Samstag, 21. Dezember 2024
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Ein Brief von unserem Bezirksfeuerwehrarzt Erwin Lutz bezüglich dem Verhalten für Feuerwehren während der Corona-Krise

Es folgt ein Brief von Erwin Lutz, Bezirksfeuerwehrarzt für Schwaben und Kreisfeuerwehrarzt für Augsburg-Land:

Vielleicht haben sie sich gewundert, dass vom schwäbischen Bezirksfeuerwehrarzt bzw. Kreisfeuerwehrarzt noch keine Handlungsempfehlung für die schwäbischen Feuerwehrleute während der aktuellen Coronavirus-Pandemie in Umlauf gebracht worden ist.
Das hat Gründe:
1. Es gibt ohnehin schon mehr als genug Empfehlungen hierzu. Es macht keinen Sinn, Gleiches doppelt und dreifach vorgelegt zu bekommen, und kleine unterschiedliche Auffassungen sind oft fachlich nicht entscheidend, verwirren aber.
2. Mein Beruf als Sachgebietsleiter Gesundheit an der Regierung von Schwaben füllt mich im Moment mehr als genug aus, 7 Tage/Woche, oft spät in die Nacht hinein. Da bleibt im Moment allenfalls noch Zeit, die eine oder andere Feuerwehr direkt zu beraten, wenn konkret ein SARS-CoV-2- Kontaktproblem aufgetreten ist.

Allerdings gibt es nun doch einige Dinge, die mich veranlassen, konkrete Punkte anzusprechen, die Anlass zu Sorge geben.

Auch wenn das Coronavirus im Moment unsere Wirtschaft lahm legt, die Krankenhäuser und Alten- sowie Behindertenpflegeheime vor große Herausforderungen stellt und uns zwingt zu Hause zu bleiben, gibt es keinen Grund, dass Feuerwehrleute in Panik verfallen, und sich weigern, ohne volle Infektionsschutzmontur einen Einsatz zu fahren.

Es macht auch keinen Sinn, zu versuchen, riesige Mengen an Schutzutensilien zu kaufen und zu bunkern, während genau dieses Material in Kliniken, Arztpraxen und Altenpflegeheimen fehlt - dort, wo es wirklich gebraucht wird.  Ärzte, Kranken- und Altenpfleger tragen diese Schutzkleidung nicht, weil sie so viel Angst haben, sich zu infizieren und selbst schwer zu erkranken, sondern in erster Linie, um das Virus nicht von einem Patienten auf den andern zu übertragen. Zum zweiten, um sich nicht zu infizieren und dann zur Infektionsquelle für ihre Patienten zu werden.
Gefährdet für einen schweren, eventuell sogar tödlichen Krankheitsverlauf sind alte Menschen sowie Personen mit gravierenden chronischen Herzkreislauf- oder Lungenerkrankungen oder herabgesetztem Immunsystem, u.a. Die gilt es zu schützen, mit allen Mitteln.

Feuerwehrleute hingegen sind in der Regel gesunde, jüngere Frauen und Männer; hier ist das Risiko, schwer zu erkranken, wirklich nicht groß. Vielfach verläuft die Infektion in dieser Bevölkerungsgruppe sogar völlig ohne Krankheitssymptome.

Folgende Schutzmaßnahmen im Feuerwehrdienst sind aus meiner Sicht als Infektiologe sinnvoll:

1. Grundsätzlich:
Zum Einsatz soll nur kommen, wer sich fit und gesund fühlt. Bestehen Krankheitssymptome, wie Husten, Fieber, Halskratzen: unbedingt zuhause bleiben. Ebenso, wenn man Kontakt zu einer SARS-CoV-2-positiven Person  hatte und als Kontaktperson der Kategorie 1 eingestuft wurde; in diesem Fall besteht ohnehin häusliche Absonderung - da dürfen Sie ohne individuelle Ausnahmeerlaubnis des Gesundheitsamtens gar nicht zum Einsatz kommen!

Soweit möglich, Abstand halten; beim Sprechen nahen Gesicht-Gesicht-Kontakt (face-to-face-Kontakt) vermeiden. Die wesentliche Übertragung erfolgt nämlich durch feine Tröpfchen bei Sprechen, vor allem beim Husten und Nießen. Die Aufnahme erfolgt durch Mund/Nase (beim Einatmen), kann aber auch über die Bindehäute der Augen erfolgen. Steht man nebeneinander oder hintereinander, verringert sich das Ansteckungsrisiko erheblich.

Persönliche Hygiene: nicht in die Hände nießen oder husten, auch nicht in das Gesicht eines anderen, sondern in die Ellenbeuge. Die Viren dringen nicht durch die Haut, selbst kleine Wunden sind kein Problem. Problematisch ist nur, dass wir mit den Händen alles anfassen und so im positiven Fall das Virus weitergeben. Und der Nächste reibt sich dann mit seinen kontaminierten Händen die Viren in die Nase oder steckt sie in seinen Mund. Daher: Häufig Hände waschen mit Seife; gewöhnen Sie sich an, sich möglichst nicht ins Gesicht zu fassen, dann werden Sie sich auf diese Weise auch nicht infizieren. Insbesondere Hände waschen, bevor Sie essen oder trinken.

In meinen Augen ist es nicht notwendig, bei jedem Einsatz medizinische Schutzhandschuhe unter den Feuerwehrschutzhandschuhen zu tragen. Die Viren sind nicht in der Lage, die Feuerwehrhandschuhe zu durchdringen. Wenn Sie enge face-to-face-Kontakte meiden, ist es auch nichtnotwendig, einen Mundschutz zu tragen. Spätestens, wenn Sie anstrengende Arbeit verrichten, was im Einsatz wohl die Regel sein dürfte, wird der Mundschutz relativ schnell feucht und bringt dann ohnehin nichts mehr.
Es macht auch keinen Sinn, routinemäßig einen Infektionsschutzoverall o.ä. zu tragen. Über der Feuerwehrkleidung werden Sie ihn ohnehin kaum tragen können (da bräuchten Sie wohl xxxl) und wenn doch, dann wird er bei der üblichen körperlichen Einsatzarbeit schnell zerreißen. Und wenn Sie ihn unter der Feuerwehrschutzkleidung tragen, werden Sie so schwitzen, dass sie relativ schnell erschöpft sein werden. Und wozu? Das Virus kann nicht krabbeln, es durchdringt die Feuerwehrschutzkleidung ganz sicher nicht. Und selbst wenn - das Virus durchdringt Ihre Haut nicht. Es muss für eine Ansteckung auf die MundNasenRachenschleimhäute oder in die tieferen Atemwege gelangen.

Sinnvoll ist es, wenn Sie nach dem Einsatz - nach dem Ablegen der Feuerwehrschutzkleidung - sofort die Hände mit Seife waschen; meinetwegen auch noch desinfizieren.

2. Einsatzbezogen:
Im Fahrzeug - insbesondere im Mannschaftsbereich  - möglichst nicht sprechen und face-to-face-Kontakte meiden.
Draußen: Abstand halten, auch bei der Aufstellung.
Wann sind nun Infektionsschutzoverall, Mundnasenschutz (bzw FFP2-Maske) sinnvoll?
-  Bei Verkehrsunfällen für die Feuerwehrleute, die erste Hilfe leisten, da Sie nicht ausschließen können, dass die zu rettenden Personen vielleicht auch mal SARS-CoV-2-positiv sein könnten.
Für das Öffnen des Fahrzeugs mit Spreizer und Schere benötigen Sie solches nicht, hierbei sind diese Schutzutensilien nur hinderlich. Übrigens bietet auch das Visier einen gewissen Schutz. Für das Transportieren mit der Trage ist ebenfalls nicht unbedingt ein Infektionsschutz erforderlich, wenn Sie dabei engen Face-to-face-Kontakt mit dem Verletzten meiden können.
- Ruf zu einer Reanimation: da die zu reanimierende Person auch mal SARS-CoV-2-positiv sein könnte, ist es hier sinnvoll, einen Infektionsschutzanzug, Infektionsschutzhandschuhe, eine Schutzbrille und eine FFP-2-Maske mit Ventil zu tragen. Die Schutzwirkung einer FFP2-Maske ohne Ventil ist für den Träger gleich; wegen des höheren Ausatmungswiderstands führt diese aber schneller zur Atmungserschöpfung. Dadurch besteht erfahrungsgemäß beim Träger die Neigung, den Sitz der Maske so zu verschieben, dass man besser Luft bekommt, wodurch die Schutzwirkung aber vermindert wird. Ein mehrlagiger chirurgischer Mundnasenschutz bietet zwar für den Träger einen etwas geringeren  Schutz, wird aber unter Arbeit besser toleriert und geht daher auch.
Zur Reanimation selbst: Nachdem die Reanimation durch die Feuerwehr nur als Überbrückung bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes und als Laienreanimation gedacht ist, gilt: wichtig ist die Herzdruckmassage; auf die Mund/Mund- oder Mund/Nase-Beatmung darf verzichtet werden und während der gegenwärtigen Coronavirus-Pandemie empfehle ich dies ausdrücklich. Auch eine Mundbeatmung über eine Maske birgt ggf. ein erhebliches Infektionsrisiko und sollte unterbleiben. Eine Beatmung mit Maske und Beutel ist möglich; dies darf aber nur durchführen, wer es auch gelernt hat. Wird statt der Lunge der Magen aufgebläht, kommt es zum Erbrechen mit Verlegung der Atemwege.
Bei der Anwendung eines AED gibt es auch im Falle einer SARS-CoV-Infektion nichts Besonderes zu beachten.
Potentiell kontaminierte Geräte und Gegenstände, die nicht Einmalartikel sind, sind später mit einem zumindest begrenzt-viruziden Desinfektionsmittel zu desinfizieren.
Grundsätzlich gilt hier wie auch bei anderen Einsätzen: Es sollen nur so viele Frauen/Männer am Einsatz teilnehmen, wie auch gebraucht werden; das reduziert auch das Infektionsrisiko.
Zudem empfehle ich: üben Sie vor allem das Ablegen einer potentiell kontaminierten Infektionsschutzkleidung; hier werden die meisten Fehler gemacht. Lassen Sie sich dabei gegebenenfalls helfen. Die helfende Person muss dann aber ebenfalls Schutzhandschuhe tragen. Nach dem Ausziehen des Overalls und der Handschuhe und deren sofortiger Entsorgung im Müllbeutel Hände desinfizieren, dann Schutzbrille und Maske abnehmen, entsorgen und erneut die Hände desinfizieren.
Potentiell infizierte Einmalschutzkleidung sowie alle potentiell kontaminierten Einmalmaterialien sind in einen festen Müllbeutel zu stecken; dieser ist fest zu verschließen. Ich empfehle, diesen noch in einen zweiten Mullbeutel zu stecken und ebenfalls zu verschließen. Die Entsorgung kann mit dem Hausrestmüll erfolgen. Auf keinen Fall hier eine Mülltrennung vornehmen.
Für Brandeinsätze, andere technische Hilfeleistung sowie Türöffnen wird in der Regel keine Infektionsschutzkleidung benötigt.  

Ich hoffe, ich kann Ihnen mit obigen Ausführungen ein wenig Angst vor dem Coronavirus für sich selbst nehmen und bewirken, fachlich sinnvoll und mit Bedacht vorzugehen. Selbstverständlich müssen Sie sich schützen. Aber völlig unnötige Verschwendung von Schutzutensilien bringt Ihnen nicht wirklich mehr Schutz, führt aber dazu, dass diese dort fehlen, wo sie wirklich dringlichst  gebraucht werden.

Mit kameradschaftlichen Grüßen

Erwin Lutz
Kreisfeuerwehrarzt für Augsburg-Land
Bezirksfeuerwehrarzt für Schwaben